Bibelarbeit am Samstagmorgen
Dr. Kathrin Liess, Professorin für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Reutlingen, stellte den Konferenzteilnehmenden in ihrer Bibelarbeit Gott vor. Gott ist, so Liess, im Alten Testament permanent in Beziehung und offenbart sich in der Geschichte, in den Erfahrungen der Menschen, im biblischen Wort. Dieses Wort steht im Kontext göttlicher Beziehungen zu Israel, zu einzelnen Menschen.
Einer dieser Menschen ist Mose, dem Gott im brennenden Dornbusch begegnet (Exodus 3). Gott begegnet Mose in einem spröden Dornbusch, nicht bei einer Zeder oder einem anderen imposanten Baum. Nein, Gott begegnet im Gewöhnlichen und macht es zu etwas Ungewöhnlichem. Gott durchbricht Vorstellungen und begegnet auf Augenhöhe. Im brennenden Dornbusch stellt sich Gott namentlich vor. Liess übersetzt das Hebräische ähejäh ascher ähejäh mit: ich werde mit dir sein. Es wird deutlich, dass Gott als mitgehend und befreiend erkannt werden möchte. Es ist ein dynamischer und offener Gottesname, der sich in seiner Bedeutung im Lauf der Zeit, auf dem Weg, in der Beziehung entwickelt und konkretisiert.
Gottes Selbstvorstellung bringt auch das, was war, ins Spiel. Die Vergangenheit, die Geschichte der Erzeltern Sara und Abraham und ihrer Nachkommen, zusammen mit der Verheißung des gelobten Landes, schwingen in der Gottesbegegnung mit. Gott nimmt wahr, dass das Volk zur Zeit Mose, weit weg ist von den einst gegebenen Verheißungen. Gott kommt den Menschen daher nahe und will sie erneut in das verheißungs-offene Land führen. Die Not bleibt Gott nicht verborgen. Gott kommt selbst, begegnet Mose mit einem Auftrag zur Befreiung und geht selbst mit.
Eine andere Art der Gottesbegegnung findet Liess in Exodus 34,6-7. Dort stellt sich Gott als barmherzig vor. Im Hebräischen heißt barmherzig racham. Das Wort kommt vom Begriff für die Gebärmutter (rächäm) und drückt damit eine fürsorgende, schützende und lebensbefördernde Wesensart aus, die Gott zueigen ist. Gott ist veränderlich, so Liess, nicht willkürlich handelnd, aber in Beziehung ist Gott leidenschaftlich engagiert, findet immer wieder neue Wege zum Miteinander, auch wenn die Menschen durch ihre Verfehlungen für Beziehungsabbrüche sorgen. Gottes Barmherzigkeit ist dabei stets größer als göttlicher Zorn, der sich leidenschaftlich wegen Beziehungsunterbrechungen grämt. Das göttliche Herz schlägt kräftig pulsierend für die Menschen und zeigt Wege auf, wie mit Verfehlungen umgegangen werden kann. Im Verlauf (Ex 34,9-10) schließt Gott einen Bund mit seinem Volk und verspricht, dass die göttliche Gnade, Barmherzigkeit und Kreativität stets wieder ins Leben führen werden. Die zugewandte Beziehung bleibt bestehen, die schon ganz am Anfang, in der Schöpfung, begründet ist.
Dieses Schöpfungsgeschehen, so Liess, das immer wieder neu Entstehende, begegnet auch im Buch des Propheten Jesaja (44,24; 45,11ff.). Dort wird Gottes Schöpferkraft gepriesen. Gott schuf eine Welt, die auf Beziehung angelegt ist. Gott liegt es am Herzen, Menschen einen Lebensraum zu schaffen, in dem sie dauerhaft wohnen und ein Zuhause haben können. Gottes Kreativität sind dabei keinerlei Grenzen gesetzt: in der Wüste strömt das Wasser, aus der Not wird Freude, aus der Klage wird Lobpreis, aus der Verlorenheit wird Heimat. Dabei begegnet Gott nicht nur dem Volk, sondern kennt jede/n Einzelne/n persönlich (Jesaja 44,1-4). Kein Menschenkind ist Gott unbekannt, weil Gott unmittelbar am Leben beteiligt ist: „Ich habe dich geschaffen, schon im Mutterleib habe ich dich geformt.“ Liess schließt zusammenfassend, dass Gott nach alttestamentlichem Zeugnis nicht nur die Rahmenbedingungen für ein gutes Leben schafft, sondern sich als wegbereitend, barmherzig, befreiend, neu-beginnend und geduldig liebend vorstellt.
Raphaela Swadosch